Der Nachtisch haut’s wieder raus
Sonntag, 24. November 2019
Wie das manchmal schwierige AT durch das NT „genießbar“ wird…
Seit September folge ich dem Bibelleseplan von Tim Ruthven „Edelsteine – Täglich Stille Zeit“. Dieser besteht aus zwei Bänden, „Altes Testament“ (AT) und „Neues Testament“ (NT), die abwechselnd oder einzeln hintereinander durchgearbeitet werden können. Jeder Band besteht aus 366 Kapiteln mit einem Lesevorschlag aus der Bibel und einer dazugehörigen Andacht. Auf diese Weise soll man die Bibel in einem Jahr komplett durchlesen können. Dieser Bibelleseplan wurde mir in einem Diskussionsforum empfohlen. Ich hatte nach einen Bibelleseplan gesucht, bei dem abwechselnd im AT und im NT gelesen wird. Es heißt, dass AT und NT zusammengehören, da das NT ohne Kenntnis des AT nicht zu verstehen sei. Ich wollte aber nicht ein ganzes Jahr lang ausschließlich im AT lesen, um nicht schon morgens deprimiert in den Tag zu starten. Viele Passagen des AT sind für mich doch schon „starker Tobak“.
Ich versuche, die Bibel nicht nur „mit dem Kopf“ zu lesen, sondern auch „mit dem Herzen“. Hierzu bitte ich zu Beginn der Lesung den Heiligen Geist, mir die Worte, die ich gleich lesen werde, auszulegen und sie als Worte Gottes zu mir persönlich „sprechen“ zu lassen. Auch das nachfolgende Gebet, das in den beiden Büchern zu Beginn abgedruckt ist (ein Auszug aus Psalm 143) finde ich hierfür sehr schön – meist ergänze ich die einzelnen Verse noch durch eigene Worte bzw. benutze sie als Ausgangspunkt für ein persönliches Gebet:
(1a) Herr, erhöre mein Gebet.
Quelle: Tim Ruthven: Edelsteine – Täglich Stille Zeit, Neues Testament
(6) Ich breite meine Hände aus zu dir,
meine Seele dürstet nach dir wie ein dürres Land.
(8) Lass mich am Morgen hören deine Gnade;
denn ich vertraue auf dich.
Zeige mir den Weg, den ich gehen soll;
denn mich verlangt nach dir.
(10) Lehre mich tun nach deinem Wohlgefallen,
denn du bist mein Gott;
dein guter Geist führe mich auf ebener Bahn.
In der Tat hat auch schonmal ein Bibelvers aus dem AT zu mir „gesprochen“, und zwar am 5. Oktober 2019, dem Morgen vor unserer Straßenaktion der Satz „Darum geh jetzt! Ich bin bei dir und werde dir sagen, was du reden sollst.“ aus 2. Mose 4,12.
Trotzdem habe ich mit einigen Abschnitten des AT so meine Probleme, da der dort beschriebene Gott mit dem liebevollen Vater aus dem NT scheinbar so gar nichts gemeinsam hat. Das 1. Buch Mose und auch noch der Beginn des 2. Buches fand ich noch recht interessant. Besonders die Geschichte von Josef hat mich fasziniert, wie er von seinen Brüdern aus Neid getötet werden sollte, dann aber an die Ägypter als Sklave verkauft wurde, und wie er sich dort durch seine Traumdeutungen beim Pharao Ansehen erworben hat und von diesem zu seinem Stellvertreter ernannt wurde und schließlich seine Familie aus ihrer von einer Dürre geplagen Heimat nach Ägypten nachholen konnte etc. Doch danach ging es weiter mit Mose, und ich quälte mich durch ellenlange Beschreibungen vom Aufbau des Heiligen Zeltes und seitenweise detaillierte Vorschriften für blutige Opferrituale. Auch Gott selbst erschien mir dort zuweilen als sehr befremdlich, wenn er jeden kleinsten Fehler sofort mit drakonischen Strafen bis hin zum Tod durch Steinigung belegte. Ich war froh, zur Abwechslung zwischendurch auch immer wieder im NT lesen zu können.
Heute kam ich dann zu dem für mich schwer verdaulichen Kapitel 4. Mose 31, wo Gott einen Rachefeldzug der Israeliten gegen das Volk der Midianiter anordnet. In seinem Namen werden dort alle Männer, Frauen und männlichen Kinder dieses fremden Volkes massakriert und nur die unberührten Mädchen „verschont“ und als „Beute“ mitgenommen (zu welchem Zweck, kann man sich wohl lebhaft vorstellen). Das ist nicht der Gott meiner Sehnsucht! Tim Ruthven, der Autor des Bibelleseplans, hebt in seinem dazugehörigen Andachtstext allerdings nur die positiven Seiten dieser Erzählung hervor: Wie gut Gott für alles vorgesorgt hat (in Bezug auf seine Anweisungen, wie mit der Kriegsbeute umzugehen ist) – ja, er war sogar regelrecht gerührt von dem „Wunder“, dass von den 12.000 israelitischen Soldaten kein einziger Mann sein Leben verlor…
Wenn ich so etwas lese, dann frage ich mich manchmal, worauf ich mich da eigentlich eingelassen habe. Beruht die ganze Bibel vielleicht doch nur auf Mythen über einen lokalen Kriegsgott der Israeliten, der dann später zum Schöpfer des gesamten Universums wurde und schließlich zu dem von Jesus Christus repräsentierten liebevollen Vater? Oder liegt hinter der vordergründigen Erzählung vielleicht noch eine tiefere, geistliche Wahrheit versteckt? Bei der Bhagavad-Gita, dem heiligen Buch der Hinduisten, ist es ja ähnlich: Auch da geht es vordergründig um eine Kriegshandlung, hinter der aber eine spirituelle Wahrheit verborgen ist. Könnte es also sein, dass auch einige der Geschichten im AT in Wirklichkeit Metaphern für geistliche Realitäten sind, etwa für den Kampf von „Gut gegen Böse“ in der unsichtbaren Welt (etwa der Engel Gottes gegen die Dämonen Satans)?
Tim Ruthven jedenfalls versucht ebenfalls, diesen Abschnitt zu „vergeistlichen“, indem er ihn für sich und die Leser so deutet, dass wenn wir Gott gehorchen und ihm vertrauen und uns vom Heiligen Geist leiten lassen, wir uns vor keinen Feind zu fürchten brauchen („Ist Gott für uns, wer kann gegen uns sein?“ – Römer 8,31). Im Falle von 4. Mose 31 war der „Feind“ – die Midianiter – allerdings kein Angreifer, sondern im Gegenteil, er wurde von den Israeliten angegriffen.
Wie auch immer – meist „versöhnt“ mich die anschließende Lesung im NT dann wieder etwas mit Gott. Das ist wie in unserer Kantine: Das Hauptgericht kann noch so ungenießbar sein – der Nachtisch haut’s jedesmal wieder raus! 😀