Die Bedeutung der Fußwaschung
Sonntag, 4. August 2019
Bei der Fußwaschung in Johannes 13, 4-15 geht es nicht nur um das Einander Dienen, sondern auch um Vergebung.
(Nach einem „Kurzvortrag“ während des „Zeugnis-Gottesdienstes“ vom 04.08.2019, vorgetragen im Anschluss an meinen Erlebnisbericht mit dem wiederkehrenden Bibelvers „Sprüche 4,20-22“ vom 31.07.2019.)
Sonntag, 4. August 2019
Vorhin haben wir ja das Lied „Auferstehen“ gesungen, in dem es heißt:
„Das Haupt von Dornen einst gekrönt, krönt nun die Herrlichkeit.
Vor dem, der uns die Füße wusch, knien wir in Ehrfurcht heut.“
Zur Zeit lese ich das Johannes-Evangelium, und gestern kam ich zur Fußwaschung in Kapitel 13. Daraus möchte ich zunächst einige Verse vorlesen:
[Da] stand er vom Mahl auf, legte sein Obergewand ab, nahm einen Schurz und umgürtete sich; darauf goss er Wasser in das Becken und fing an, den Jüngern die Füße zu waschen und sie mit dem Schurz zu trocknen, mit dem er umgürtet war. Da kommt er zu Simon Petrus, und dieser spricht zu ihm: „Herr, du wäschst mir die Füße?“ Jesus antwortete und sprach zu ihm: „Was ich tue, verstehst du jetzt nicht; du wirst es aber danach erkennen.“ Petrus spricht zu ihm: „Auf keinen Fall sollst du mir die Füße waschen!“ Jesus antwortete ihm: „Wenn ich dich nicht wasche, so hast du keine Gemeinschaft mit mir.“ Simon Petrus spricht zu ihm: „Herr, nicht nur meine Füße, sondern auch die Hände und das Haupt!“ Jesus spricht zu ihm: „Wer gebadet ist, hat es nicht nötig, gewaschen zu werden, ausgenommen die Füße, sondern er ist ganz rein. Und ihr seid rein […]“ Nachdem er nun ihre Füße gewaschen und sein Obergewand angezogen hatte, setzte er sich wieder zu Tisch und sprach zu ihnen: „Versteht ihr, was ich euch getan habe? Ihr nennt mich Meister und Herr und sagt es mit Recht; denn ich bin es auch. Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt auch ihr einander die Füße waschen; denn ein Vorbild habe ich euch gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe.“
Johannes 13, 4-15 (Schlachter 2000)
Bei Jesu Frage in Vers 12 („Versteht ihr, was ich euch getan habe?“) habe ich mich gefragt: Ja, was hat Jesus da eigentlich getan? Worum geht es bei der Fußwaschung? Ich habe dann in meiner Elberfelder Studienbibel nachgeschlagen, und da heißt es, es geht um das Thema des einander Dienens. Allerdings glaube ich, dass es da auch um das Thema Vergebung geht – ein sehr wichtiges Thema, über das ja Andrea vor einigen Wochen schon gepredigt hat.
Jesus hat uns bereits mit seinem Blut von aller Schuld gereinigt; wir sind bereits für die Ewigkeit errettet und brauchen daher kein Vollbad mehr („Wer gebadet ist, hat es nicht nötig, gewaschen zu werden, ausgenommen die Füße, sondern er ist ganz rein.“). Doch solange wir noch hier auf der Erde leben, werden wir uns immer wieder „die Füße schmutzig machen“, sprich wir begehen Sünden. Das lässt sich gar nicht vermeiden, und schon die kleinste, vermeintlich unbedeutende Sünde belastet unser Gewissen und trübt unsere Beziehung zu Gott und zu anderen Menschen. Aber wir können mit unseren Sünden immer wieder zu Jesus kommen, und wenn wir sie ihm bekennen, dann „wäscht er uns die Füße“ und unsere Sünden sind uns vergeben, weil er ja bereits für sie bezahlt hat durch seinen Tod am Kreuz (siehe auch 1. Johannes 1,9). Lehnen wir es ab, uns von Jesus „die Füße waschen“ zu lassen („Auf keinen Fall sollst du mir die Füße waschen!“), dann trübt das unsere Beziehung zu Gott („Wenn ich dich nicht wasche, so hast du keine Gemeinschaft mit mir.“).
Und schließlich fordert Jesus uns dazu auf, uns auch einander „die Füße zu waschen“ („so sollt auch ihr einander die Füße waschen“), d.h. wir sollen einander unsere Schuld vergeben. Hierin sollen wir uns Jesus zum Vorbild nehmen („ein Vorbild habe ich euch gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe.“) – und genau das beten wir ja auch im Vaterunser: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“
Wichtig: Es geht hier nicht um die Vergebung zur Errettung (die ist ja bereits durch das „Bad der Wiedergeburt“ erfolgt; siehe auch Titus 3,5), sondern um Beziehung. Durch Vergebung – im Vaterunser gebetet und uns von Jesus anhand der symbolischen Handlung der Fußwaschung befohlen –, wird also unsere durch Sünden getrübte Gemeinschaft mit Gott und untereinander bereinigt und wiederhergestellt.
Nachtrag: Anmerkung zu „ausgenommen die Füße“
Mir war aufgefallen, dass in der Zürcher Bibel der wichtige Satzteil „ausgenommen die Füße“ in Johannes 13,10 fehlt. Dieser Teil wurde stattdesse in eine leicht zu überlesende Anmerkung ausgelagert:
Andere Textüberlieferung: „…, braucht nicht mehr gewaschen zu werden ausser an den Füssen, nein …“
Auf meine Nachfrage an den Theologischen Verlag Zürich, der die Zürcher Bibel herausgibt, antwortete mir ein ehemaliges Mitglied der NT-Übersetzungskommission folgendes:
Joh 13,10 ist eine der strittigsten Textstellen im NT. Die handschriftliche Textüberlieferung ist vielfältig und vor allem in 2 Linien gespalten (eben: mit oder ohne ‚ausgenommen die Füsse‘). Die Fragen zu den Textgrundlagen sind in der Neuen Zürcher Bibel im Anhang auf S. 163 (Zum Gebrauch dieser Bibelausgabe) kurz skizziert. In Joh 13,10 verändert sich der Sinn massiv, ob man nun der einen oder anderen Texttradition folgt. Wir haben in solchen Fällen jeweils die uns exegetisch und theologisch besser begründbare Variante als Text wiedergegeben, die – aufgrund der handschriftlichen Tradition – ebenso gut vertretbare Variante als Anmerkung angeführt. Die Frage, welche Texttradition die wohl ursprüngliche ist, wird in der Auslegung des Johannesevangeliums immer wieder kontrovers diskutiert (und wird wohl zu keinem Ende führen).
Da mich diese Antwort noch nicht ganz zufriedenstellte, fragte ich weiter nach der theologischen Begründung für die Bevorzugung der Variante ohne den Zusatz „ausgenommen die Füße“. Die Antwort:
Die Ausgabe von Nestle-Aland verzeichnet in den Handschriften 6 unterschiedliche Varianten (bei Nestle-Aland sind jeweils die wichtigsten Handschriften angegeben, die die entsprechende Textvariante vertreten). Die sechs Textvarianten lassen sich zu zwei Typen zusammenfassen, je nachdem, ob ‚ausgenommen die Füsse‘ dasteht oder nicht. Nestle-Aland selbst vertritt die erste Variante (also mit ‚ausgenommen die Füsse‘). Die zweite Variante (ohne ‚ausgenommen die Füsse‘) wird vor allem von der Handschrift Sinaiticus vertreten, die bei den Evangelien zu den besten Handschriften zählt. Die anderen ganz wichtigen Handschriften (Papyrus 66, Papyrus 75, Vaticanus) vertreten Texttypus 1. Sie sehen das Dilemma, in das einen der handschriftliche Befund stürzt. Geht man rein arithmetisch vor, ist Texttypus 1 zu favorisieren (so eben auch die Ausgabe von Nestle-Aland).
Versucht man, diesen Befund nun inhaltlich zu gewichten und zu fragen, in welche Richtung die Textentwicklung wohl eher gegangen ist und was als Text eher dem Johannesevangelium insgesamt entspricht, so beginnt der Dissens – und ich denke, beide Varianten sind eben gut vertretbar. Das liegt auch daran, dass der Text 13,4-11 insgesamt nicht einfach zu deuten ist.
Ich tendiere zur zweiten Variante und verstehe den Text so: Was in V.10 mit ‚gebadet‘ aufgenommen wird, ist die Fusswaschung, die Jesus an Petrus vollziehen will. Petrus hat sich dagegen zuerst gewehrt und will dann, in radikaler Umkehr, dass Jesus ihm auch noch die Hände und den Kopf wäscht. Gegen dieses quantifizierende Missverständnis hält Jesus entgegen: Das, was ich an dir gemacht habe, nämlich dir die Füsse zu waschen, ist vollständig, umfassend, nicht quantifizierbar, das ist eben wie ein Vollbad, und dann ist man ganz rein. Dann braucht es gar nichts mehr.
Ich respektiere die erste Lösung genauso. Sie scheint mir aber ein Problem zu enthalten, das ich innerhalb des Johannesevangeliums bekomme: Was ist mit ‚gebadet‘ gemeint? Offenbar würde damit nicht der jetzige Akt Jesu bezeichnet (die Fusswaschung), sondern etwas Davorliegendes. Doch was? Als notwendig zum Heil wird in V.8 die Fusswaschung bezeichnet, also genau der Akt, den Jesus jetzt vollzieht. Die Fusswaschung ist also das Gebadetwerden. – Man kann die Dinge auch anders aufeinander beziehen, und ich gebe gerne zu, dass Sie für die erste Variante Nestle-Aland auf Ihrer Seite haben.
Ich hoffe, Ihnen soweit Einblick gegeben zu haben, dass Sie die für Sie stimmige Lösung wählen können.